Gesellschaftswandel jetzt!
Fiktives Interview zur Buchveröffentlichung von "Quo vadis, homine" (Mai 2020)
- Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Das hat damit zu tun, dass ich meine Pubertät nie ganz hinter mir gelassen habe. Pubertierende sind in Denken und Meinung oft gleichermaßen instinktgetrieben wie scharfsinnig. Die nicht Traumatisierten und Brutalisierten unter ihnen sind zumeist recht lebenslustig, aber auch leicht wütend, und klagen offensichtliche Ungerechtigkeiten noch direkt und oft mit sehr klugen und trefflichen Gedanken an, ohne sich aus Furcht um die Konsequenzen für die eigene Biographie zu verbiegen. Ein positives Beispiel: Fridays for future. Bei Erwachsenen herrscht dagegen im Zuge der üblichen Korruption durch Konsum, Karriere sowie bleierner Normalität und Saturiertheit vornehmlich die sogenannte „Vernünftigkeit“ vor – oder eben, je nach Neigung und Betroffenheit, die Gewaltfantasien dumpfen Wutbürgertums. Aber die gute, alte konservative „Vernünftigkeit“ des kapitalistischen Systems, nach dem Motto Uns-geht’s-doch-so-gut, ist in die Krise gekommen. Und spätestens seit 2008 wird die Krise allenthalben in vielerlei Gestalt sichtbar: Bankenkrise, Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Weltwirtschaftskrise, Gesellschaftskrise, soziale Krise, Umweltkrise, Demokratiekrise, Gesundheitskrise, Rentenkrise, Klimakrise, Globalisierungskrise, Corona-Krise usw. usw. Die Krise ist zum Dauerzustand geworden – und sie nimmt noch weiter Fahrt auf. Und im ruhigen Zentrum des tosenden Krisen-Zyklons wirkt, wie die Spinne im Netz, das Geldsystem.
Mich hat es im gut-pubertären Sinne einfach wütend gemacht, dass die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft – wie übrigens vorauszusehen war – immer wieder nur oberflächliche Reförmchen an Marktwirtschaft und Geldsystem propagieren, statt ernsthaft und konsequent über Alternativen nachzudenken. Aus diesem Grunde sah ich mich genötigt, grundlegende Gedanken in die Debatte zu werfen, die aber im großen Meer des allgemeinen Mainstrem-Diskurses in Politik und Medien unterzugehen drohen. Daher entschied ich mich, sie in Buchform zu veröffentlichen. Sicherlich hätte ich per Youtube ein größeres Publikum erreichen können, aber ich gehöre nun mal zur altvorderen Analog-Generation. Und außerdem: Was nicht ist, kann ja noch werden.
- Wie sind Sie auf den Titel Quo vadis, homine gekommen und was bedeutet er ?
Sie kennen sicher das Zitat Quo vadis, domine (Wohin gehst du, Herr?), das dem Apostel Petrus zugeschrieben wird. Mein Buchtitel Quo vadis, homine (Wohin gehst du, Mensch?) stellt nun eine Verballhornung des Zitats dar, da Gott (Herr) heute keine allgemeingültige gesellschaftsprägende Macht mehr darstellt. (Und in meinem Buch geht es ja gerade darum, dass eben der Mensch mit Hilfe der Technik die ganze Welt beherrscht und sie ständig weiter verändert.)
Die Lateiner unter uns werden natürlich die Nase rümpfen, da homine falsch dekliniert ist. Es ist der Ablativ und heißt übersetzt mit Hilfe des Menschen. Mein Titel müsste also grammatikalisch korrekt lauten Quo vadis, homo? Ich aber habe mit Augenzwinkern aus dem homo (Mensch) kurzerhand die Neuschöpfung „hominus“ gemacht, also einen herrschaftlichen, gottgleichen Menschen – ein Wort, das es so gar nicht gibt. Die Lateiner mögen mir verzeihen!
- Wie lange haben Sie an dem Buch geschrieben?
Sehr lange, aber nicht zu lange. Denn die vier Jahre hat es für Quo vadis, homine gebraucht. Zum einen sind es ja quasi zwei Bücher, die aber wie Yin und Yang zusammengehören: der Midas-Effekt und das Auenland-Projekt. Daneben aber ist die lange Dauer auch der Eigenart des philosophischen Denkens geschuldet. Denn das Denken nimmt, anders als eine Zugverbindung, keinen geschienten Verlauf. Allenfalls ist dabei ungefähr abzusehen, in welche Richtung der Zug startet, aber nicht, wie weit er fährt, wo er ankommt, ja noch nicht einmal, wo er entlangfährt. Oft stellen sich Nebenwege als Königswege heraus. Das macht die Sache interessant, denn es zwingt dazu, sich zu konzentrieren. Das bedeutet nicht nur, dass man die Fülle der einschlägigen Literatur durchstöbern, sondern man muss sie auch mit dem eigenen Thema in Verbindung setzen; man muss die Literatur quasi in die eigene Denke übersetzen. Dieser Dialog braucht dementsprechend vor allem Zeit, da man vom Hundertsten ins Tausendste kommt. Oder anders gesagt: Alles hängt tatsächlich mit allem zusammen. Während des Denkweges ändern sich dann immer wieder die eigenen Denk-Gleise.
Zwischenzeitlich befürchtete ich insgeheim, dass mein Buch überholt sein würde. Es hätte ja sein können, dass die Gedanken vielleicht schon längst von anderer Seite veröffentlicht worden wären oder dass sie sich als Sackgasse erweisen würden, also als haltlos, als inkonsequent, als zu naiv oder zu kurz gedacht. Aber dem war ganz und gar nicht so. Ich war wirklich überrascht, dass meine Kritik an unserem way of life jedenfalls in dieser Gesamtkonzeption bisher anscheinend noch nicht gedacht worden sind. Und sie erweisen sich zunehmend als äußerst treffend und haltbar.
- Was ist Ihnen besonders wichtig beim Inhalt dieses Buches?
Meine vorrangige Absicht in Quo vadis, homine ist es eigentlich nicht, mit in die „letzte große Schlacht“ gegen den Kapitalismus zu ziehen oder die Machenschaften herrschender Kreise zu entlarven. Denn das haben vor mir schon viele andere getan. Die Literatur ist mittlerweile voll davon, und einige sind ausgezeichnete, treffsichere und großartige Analysen. Aber sie stellen nur die Negation dar. Sie zeigen – fast ausnahmslos – keine wirklichen Alternativen und bieten kaum Ausblick darauf, wie man es besser machen sollte und könnte. Denn nach dem Sieg über das System ist der "Krieg" ja zu Ende. Und dann? Diesbezüglich bleiben die "Feldherren" - insbesondere Männer neigen zur Kreuzzugsmentalität - meist ungenau. Die Empfehlungen reichen von Immer aufmüpfig bleiben und Weiterhin Sand ins Getriebe streuen bis zu systeminternen, also scheinbar "vernünftigen" Reformen des Geldsystems, wodurch bestimmte Teilaspekte des Kapitalismus als Schwarze Peter angeprangert und aussortiert werden sollen, wie zum Beispiel der Wachstumsfetisch, die Zinsen, die Investmentbanken oder gar die gierigen Bänker. Das alles trifft meines Erachtens jedoch nicht den Kern der Sache und bleibt somit zwangsläufig ein Kampf gegen Windmühlen. Nur durch einen wirklich allumfassenden Kulturwandel kann es gelingen, dass die Apokalypse einer tatsächlichen "letzten großen Schlacht" verhindert wird, nämlich zwischen den vermögenden Herrschenden und den Abgehängten des Systems - eine Schlacht, die ja schon längst im Gange ist, siehe Flüchtlingskrise und die globalen sozialen Eruptionen.
Mir geht es in meinem Buch dagegen darum, eine positive und lebensbejahende Utopie eines grundlegenden Kulturwandels vorzustellen, mit dem das Wohlergehen von Menschen und anderen Lebewesen ins Zentrum allen Trachtens gestellt wird und nicht ein abstraktes, zerstörerisches, lebensverneinendes System, dem wir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Und das geht nur, indem wir eine andere Beziehung zur Natur als unserer einzigen Lebensgrundlage einnehmen. Arbeit darf für uns nicht mehr vorrangig Produzieren sein, sondern sollte eher im Hüten unserer natürlichen Lebensgrundlage bestehen. Damit würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Einerseits würde sowohl unsere soziale als auch unsere natürliche Umwelt nachhaltig geschont werden. Andererseits aber würden auch unsere eigentlichen Bedürfnisse und eben nicht mehr unsere Konsumsucht befriedigt werden, indem wir die Natur nicht mehr als verwertbares Rohstofflager und billige Abfallhalde betrachten, sondern als das wunderbare lebendige Gefüge, ohne das und außerhalb dessen wir nicht existieren können.
Lange Rede, kurzer Sinn: Während der Midas-Effekt zeigt, dass nicht nur die Überwindung des Kapitalismus, sondern vielmehr des Geldsystems an sich alternativlos ist, stellt mein Auenland-Projekt einen Weg für den längst überfälligen, grundlegenden Kulturwandel vom zunehmend vollautomatisierten Produzieren zum bloß technikgestützten, naturnahen Hüten vor. Meines Erachtens ist das der einzig gangbaren Weg hinein in eine menschenwürdige Zukunft.
- Haben Sie schon andere Bücher geschrieben?
Jain! Mein Buch Entscheidung in Delphi. Die Kunst, philosophierend die Welt zu retten habe ich vor 15 Jahren fertiggestellt, aber keiner der renommierten Verlage hat sich dafür interessiert. Und so wanderte das Manuskript in die Mottenkiste. Wenn Quo vadis, homine erst mal veröffentlicht ist, werde ich vielleicht doch wieder mal einen Blick darauf werfen.
- Schreiben Sie weitere Bücher?
Mit Sicherheit! Es ist für mich die einzige Möglichkeit, nicht vollends dem Zynismus anheim zu fallen. Denn schließlich sind wir alle leider nur zu vereinzelten und vereinsamten Konkurrenten und Konsumenten auf winzigen Single- und Kleinfamilieninseln im großen Meer des Spätkapitalismus erzogen worden. Um das deutlich zu machen, brauchte es nicht erst Covid-19. Es bleibt also noch viel zu bedenken und damit denkwürdig.